Vēstnieces A. Vanagas uzruna (vācu valodā) staļinisma un nacisma upuru piemiņas dienas pasākumā 2023. gada 23. augustā Potsdamā

19.09.2023. 14:15

Die Folgen der sowjetischen und nationalsozialistischen Besetzung für das Schicksal Lettlands

von Alda Vanaga, Botschafterin der Republik Lettland,

gehalten am 23.08.2023, Potsdam anlässlich einer Gedenkstunde am Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus.

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich danke dem Vereine der Gedenk- und Begegnungstätte ehemaliges KGB- Gefängnis Potsdam für die Einladung, heute an dem Europäischen Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus hier sprechen zu dürfen. Es ist wichtig, an den 23.August zu erinnern und über die Verbrechen des Stalinismus zu sprechen. Ich werde diesen Begriff noch erweitern und in meinem Vortrag über den Kommunismus und die Sowjetische Besatzung sprechen. Ich hoffe, mit meinem Vortrag ein Einblick in die Geschichte Lettlands geben und Verständnis über unsere Erfahrung mit dem schrecklichen sowjetischen Regimewecken zu können.

Da ich immer noch in Deutschland Menschen begegne, die denken, Lettland sei ein junges Land, werde ich meinen Vortrag mit der Gründung der Republik Lettland, die in diesem Jahr ihren 105. Geburtstag feiern wird, beginnen.

Weiter werde ich über die Nachbarschaft mit Sowjetrussland und völkerrechtliche Abkommen mit Sowjetrussland sprechen und tiefer in Geschichte der sowjetischen und nationalsozialistischen Besatzung und Repressionen in Lettland eingehen.

Zur Vorgeschichte des unabhängigen Lettlands: Die Republik Lettland wurde am 18. November 1918 gegründet

Die Idee, ein eigenes Land aufzubauen, entstand Ende des 19. Jahrhunderts. Diese in die Wirklichkeit umzusetzen, war jedoch nur im Schatten des ersten Weltkriegs in Anwesenheit der zwei Besatzungsmächte-des russischen Reiches und Deutschlands möglich. Bereits am Anfang 1918 fand die Idee der Unabhängigkeitserklärung Lettlands breite Unterstützung. Die Besetzung Lettlands durch Deutschland erlaubte es jedoch nicht, sie zu verwirklichen.

Durch die Verkündung der Republik Lettland am 18. November 1918 wurde das Recht auf Selbstbestimmung des lettischen Volkes ausgeübt. Die Verkündung der Republik Lettland erhielt nach dem Zustandekommen der lettischen Verfassung im Jahr 1920 und nach dem Verfahren der internationalen Anerkennung Lettlands im Jahr 1921 volle Legitimität.

Ein wichtiger Meilstein unserer Geschichte ist der 11. August 1920, als der Friedensvertrag zwischen Lettland und Russland abgeschlossen wurde.

Mit dem Vertrag wurden die lettischen Freiheitskämpfe beendet und bis heute feiern wir am 11. August den Gedenktag der lettischen Freiheitskämpfer.

Die wichtigsten Sätze im Vertrag zwischen Lettland und Russland waren, dass  mit Inkrafttreten des Vertrags “die Kriegslage zwischen den beiden Parteien beendet wird und dass Russland vorbehaltlos die Unabhängigkeit, Autonomie und Souveränität des lettischen Staates anerkennt und freiwillig und für immer auf alle souveränen Rechte, die Russland gegenüber dem lettischen Volk und dem lettischen Land besaß, verzichtet...“. Diese Erklärung öffnete den Weg für die weltweite internationale Anerkennung Lettlands. Dieser Artikel ist nach wie vor einer der wichtigsten Eckpfeiler der lettischen Rechtslehre und der wichtigsten Argumente für die Aufrechterhaltung der rechtlichen Kontinuität des lettischen Staates.

In den 20er und 30er Jahren des 20sten Jahrhunderts hat Lettland sich zu einem erfolgreichen Industriestaat mit einem starken Agrarsektor entwickelt. Die vielen Hochschulen und die große Zahl von Studierenden spielten eine besondere Rolle. Lettland hat in diesem Bereich eine der Spitzenpositionen unter den europäischen Ländern eingenommen.

Die Geschichte der Beziehung zwischen Lettland und der UdSSR war ziemlich kompliziert. Lettland und die anderen baltischen Staaten bemühten sich um eine friedliche Beziehung mit dem Schwergewicht auf wirtschaftlich günstige Beziehungen zum gefährlichen Nachbar. Doch nach dem Abschluss des Friedensabkommens zwischen Lettland und Russland bestand das Ziel der UdSSR immer darin, die baltischen Staaten zu schwächen, sie zu spalten, ihre Zusammenarbeit zu verhindern und ihre Bemühungen um die Schaffung einer Union zu unterbinden.

Sowjetischer Druck

Die UdSSR bildete in Lettland Netzwerke von Agenten und unterstützte die illegale kommunistische Partei Lettlands.  Zweiseitige Nichtangriffsvereinbarungen gehörten zu den Instrumenten, mit denen die Einheit der baltischen Staaten torpediert und zerstört werden konnten. Die Nichtangriffsvereinbarungen waren ein charakteristisches und weit verbreitetes Phänomen der internationalen Beziehungen zwischen den Kriegen, das aber letztendlich die behaupteten Ziele nicht erreichte und den zweiten Weltkrieg nicht verhindert hat.

Das andere Ziel der UdSSR war die weitere Integration in das System der internationalen Beziehungen, die Schaffung eines positiven Rufes und die Nutzung kollektiver Sicherheitsmechanismen zu ihrem Vorteil. Die lettische Seite war daran interessiert, formale Sicherheitsgarantien zu erhalten, obgleich es der Probleme bewusst war und sie die wahren Motive der UdSSR oft mit Skepsis betrachtete.

Doch im 1932 war es so weit. Der Nichtangriffsvertrag zwischen Lettland und Sowjetunion wurde am 5. Februar 1932 in Riga unterzeichnet. In der Präambel des Abkommens wurde auf das Friedensabkommen zwischen Lettland und Russland vom 11.August 1920 Bezug genommen und auf den allgemeinen Frieden und die Stärkung der Freundschaft zwischen beiden Ländern verwiesen.

Insgesamt war der Vertrag kurzfristig der Erfolg, den alle lettischen Regierungen seit den 20er Jahren angestrebt hatten. In der UdSSR waren jedoch alle Garantien, die im Rahmen des Völkerrechtes gewährt wurden, wertlos und wurden verletzt, sobald das für die UdSSR vorteilhaft warDer Nichtangriffsvertrag zwischen Lettland und der UdSSR wurde, wie auch der Friedensvertrag zwischen Lettland und Russland vom 11.August 1920, brutal verletzt, indem die UdSSR Lettland 1939 die Stationierung von Militärbasen und 1940 ein Ultimatum aufgezwungen hat.

In den Jahren 1939-1940 verstieß die UdSSR auch gegen die Nichtangriffsvereinbarungen mit Estland, Litauen, Polen und Finnland.

23. August 1939 –Die Unterzeichnung des Abkommens zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion mit dem Geheimprotokoll über die Einflusszonen. Ein Tag, der das Schicksal von Lettland geädert hat und mit dessen Folgen wir bis zu heute zu rechnen haben.

Genannt auch Stalin-Hitler oder Molotov-Ribbentrop Pakt nach dem sowjetischen Außenminister Vyacheslav Molotow und dem deutschen Minister für auswärtige Angelegenheiten Ulrich Friedrich Wilhelm Joachim von Ribbentrop.

Der offizielle Text des Nichtangriffsvertrags zwischen der UdSSR und Deutschland sah vor, dass keine gegenseitige Aggression stattfindet.

Der Vertrag wurde durch geheime Zusatzprotokolle ergänzt, die weit über die Grenzen der Nichtangriffsverpflichtung hinausgingen und gegen das Völkerrecht und die internationalen Verträge beider Länder verstießen.

Das geheime Protokoll des Vertrags legte die Grenzen der Interessenbereiche der Vertragsparteien fest. In Artikel 1 des Protokolls wurden die baltischen Staaten aufgeteilt: „Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung in den zu den baltischen Staaten (Finnland, Estland, Lettland und Litauen) gehörenden Gebieten bildet die nördliche Grenze Litauens zugleich die Grenze der Interessensphären Deutschlands und der UdSSR….”

Der Vertrag wurde in Moskau in der Nacht am 24. August 1939 unterzeichnet. Für Deutschland brachte die Zusammenarbeit mit der UdSSR auch die Beschaffung strategisch wichtiger Rohstoffe und Güter. Faktisch bedeutete dies den Beginn des zweiten Weltkriegs.

In der UdSSR ermöglichte dieser Vertrag eine umfassende territoriale Expansion und öffnete den Weg für mögliche weitere Eroberungen. Der Vertrag wurde zwischen Deutschland und der UdSSR als zwei großen revisionistischen Supermächten in Europa geschlossen. Beide Mächte haben Osteuropa aufgeteilt. Der Vertrag war gegen die westlichen Länder und die internationale Ordnung gerichtet. Dies ermöglichte Deutschland, einen Krieg mit Polen und eventuell mit Großbritannien und Frankreich zu beginnen, ohne Angst vor dem Eingreifen der UdSSR zu haben.

Der Vertrag wird bis heute als zynisch und rechtswidrig eingestuft. Diese Vereinbarung war eine Überraschung in der internationalen Diplomatie, da beide Mächte sowohl wegen der Gegensätzlichkeit und Ideologie der Regime als auch wegen der anhaltenden Interessenkonflikte als antagonistisch angesehen wurden. Der Molotov-Ribbentrop Pakt hat einen negativen Eindruck in den demokratischen Ländern Europas hinterlassen und er wurde als ein Verrat der UdSSR zugunsten einer undemokratischen Bewegung angesehen. Dies führte auch zur Verwirrung in Kommunistischen Parteien und anderen linken Kräften in der Welt und in Europa. Heute sehen wir, dass einige westliche Demokratien ein kurzes Gedächtnis haben und bis vor kurzem zu einer breiten Zusammenarbeit und sogar Abhängigkeit von Russland dem würdigen Nachfolger der Sowjetunion, bereit waren.

In den 90er Jahren nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit in den baltischen Staaten wirkten sich die Folgen des Molotow-Ribentrop-Paktes auf deren die Außenpolitik aus. Wir machten uns große Sorgen über einen weiteren Verrat und eine eventuelle Einigung des Westens auf Kosten der baltischen Völker. Wie z.B., die mögliche Verhinderung der Aufnahme der Baltischen Staaten in die NATO! Heutzutage wissen wir, dass wir nicht so falsch mit unseren Sorgen lagen.

Kriegsbeginn und erste sowjetische Besetzung

Am 1. September 1939 griff Deutschland Polen an. Das Vereinigte Königreich und Frankreich erklärten n Deutschland den Krieg.

Die UdSSR drängte den baltischen Staaten Abkommen zur gegenseitigen militärischen Hilfe (Militärbasisabkommen) auf, die den Einsatz von Sowjettruppen in diesen Ländern vorsahen. Solche Verträge wurden am 28.9.1939. in Moskau mit Estland, am 5.10.1939mit Lettland und am 10.10.1939. mit Litauen geschlossen. Schon damals haben die baltischen Staaten einen großen Teil ihrer Souveränität und eigenständigen Außenpolitik verloren.

Mit dem Militärbasis Abkommen vom 5. Oktober 1939 verpflichteten sich beide Seiten, einander im Falle eines direkten Angriffs oder der Androhung eines Angriffs der Vertragsparteien einer europäischen Großmacht jede Art von Hilfe, auch militärischer Art, zu leisten.

Die UdSSR verpflichtete sich, die lettische Armee zu günstigen Bedingungen mit Rüstungsgütern und anderen Kriegsmaterialien zu unterstützen. Um die Sicherheit der Sowjetunion zu gewährleisten und ihre Unabhängigkeit zu stärken, erteilte die Republik Lettland der UdSSR das Recht, einige Flugzeuge und die Militärflotte in Liepaja und Ventspils zu halten.

Weiterhin durfte die Sowjetunion in Lettland bis zu 25 000 Mann starke Luft- und Landtruppen stationieren (am 1. Juni 1940 bestand die gesamte lettische Armee im Vergleich nur aus 30 843 Mann: 2013 Offizieren, 27 555 stellvertretenden Offizieren, Ausbildern und Soldaten sowie 1275 Freiberuflern).

Am 11. Oktober 1939 hat der Austausch von Ratifikationsurkunden zwischen dem lettischen Außenminister und dem bevollmächtigten Geschäftsführer für auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, der gleichzeitig der Mitarbeiter des sowjetischen Nachrichtendienstes war, stattgefunden. Dieser UdSSR-Beamte hatte damals die Vorbereitung der Besetzung Lettlands bereits eingeleitet.

Nach dem Militärbasis Abkommen kam die physische Besetzung Lettlands. Am 16.Juni 1940 brachte die UdSSR ein Ultimatum an Lettland mit Anschuldigungen über die Verstöße gegen den Militärbasis Abkommen vom 5.Oktober 1939. Die Hauptforderungen des Ultimatums bestanden darin, eine den UdSSR gegenüber loyale Regierung zu schaffen und zu ermöglichen, ein zusätzliches sowjetisches Truppenkontingent einzuführen. Die Lettische Regierung war gezwungen, sich diesem Ultimatum zu unterwerfen, und am Morgen des 17.Juni überquerten sowjetische Truppen die lettische Grenze und nahmen alle strategisch wichtigen Punkte ein.

Die erste sowjetische Besatzung dauerte ein Jahr, bis sie Anfang Juli 1941durch das nationalsozialistische deutsche Besatzungsregime ersetzt wurde. Dieser Zeitraum hat im Bewusstsein der lettischen Bevölkerung und ihrer Nachkommen die Bezeichnung „das schreckliche/furchtbare Jahr“ erhalten. Damals wurde sowohl den Letten als auch den Angehörigen nationaler Minderheiten (Russen, Juden, Polen usw.) gewaltsam das totalitäre sowjetische Regime aufgezwungen, das auf einem massiven Terror gegen die Bevölkerung beruhte.

Vor dem Hintergrund der heutigen politischen Ereignisse ist es wichtig zu bedenken, dass die Besetzung nicht innerhalb eines Tages stattfand. Die Vorbereitung, der Einsatz und der Ausbau sowjetischer Truppen begannen bereits in der zweiten Hälfte der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Stalin zögerte nicht, die Möglichkeiten zu nutzen, die ihm die geheimen Absprachen mit dem nationalsozialistischen Deutschland und die internationale Lage eröffnet hatten. Der entscheidende Schlag gegen die Unabhängigkeit der baltischen Staaten war die Zeit, als Hitler die erfolgreiche Militäroperation in Frankreich abgeschlossen hatte (Paris wurde am 14. Juni besetzt). Am Tag der endgültigen Besetzung Lettlands am 17. Juni 1940 beglückwünschte Vyacheslav Molotov, der Außenminister der UdSSR, Deutschland im Namen der Sowjetunion zum Sieg in Frankreich. Gleichzeitig berichtete er seinem Nazi-Kollegen Ribbentrop, dass ein Bevollmächtigter der UdSSR (Vischinsky) nach Lettland geschickt würde und unter seiner Leitung nach dem erzwungenen Rücktritt der lettischen Regierung eine „Volksregierung“ gegründet würde. Vor dem Hintergrund anderer wichtiger Ereignisse hat die internationale Gemeinschaft kaum von diesem Verbrechen Notiz genommen. Zu diesem Zeitpunkt folgte die ganze Welt mit Sorge den Ereignissen in Frankreich und wartete auf das weitere Vorgehen Hitlers. Das Vereinigte Königreich bereitete sich auf eine mögliche deutsche Invasion vor.

Die sowjetische Besatzungsmacht hat alle Lettischen Institutionen, die die Souveränität des Lettischen Staates gewährleisteten, eliminiert: das Außenministerium und den Diplomatischen Dienst, die Streitkräfte, die Grenzschutzbehörde. Die UdSSR hat aufgefordert alle Auslandsvertretungen Lettlands zu schließen, viele Gebäude und Gegenstände wurden einfach von der UdSSR übernommen. Die Armee und die Grenzschutzbeamten wurden zahlenmäßig reduziert und deren Soldaten und Mitarbeiter teilweise deportiert und erschossen.

Repressionen

Bereits in den ersten Tagen der sowjetischen Besetzung begannen sowjetische Geheimdienste  wie das KGB(oder auch Tscheka genannte) und die Dienste der Roten Armee mit der Festnahme und Abschiebung von Bürgern des noch offiziell unabhängigen Staates in das Gebiet der UdSSR, was die faktische Existenz der Besatzung beweist.

Das lettische Justizsystem wurde völlig ignoriert. Alle von den Besatzungsbehörden eingeleitete Fälle wurden von den Militärgerichten der Roten Armee nach dem russischen Strafgesetzbuch bzw. nach dem Aufbau des Rechtssystems eines fremden Staates geprüft.

Die Menschen wurden auch rückwirkend für ihre Tätigkeit vor dem 17.06.1940 bestraft. Im Juli wurden die führenden lettischen Politiker wie der Präsident, der Außenminister und andere festgenommen und nach Russland abgeschoben.

Das Archiv des KGB enthält Informationen über 7292 festgenommene Personen, davon 263 Frauen. 184 wurden zwischen dem 17. Juni 1940 und dem 5. August 1940 verhaftet (d. h. vor der offiziellen Aufnahme der lettischen SSR in die UdSSR). Als ersten wurden Regierungsmitglieder, Beamte, Polizei- und Justizbeamte, Sicherheitskräfte, Grenzschutzbeamte usw. verhaftet, sowie die Vertreter von Organisationen, die mit dem Ausland in Verbindung standen: russische Auswanderer, polnische, jüdische Aktivisten, die bekanntesten Mitglieder der Nationalen Vereine usw.. Die Verhaftungen waren größtenteils auf die Bestrafung derjenigen zurückzuführen, die „gegen die revolutionäre Bewegung und die Arbeiterklasse kämpften“. Bis zur offiziellen Einführung des Strafgesetzbuches der UdSSR im November 1940 waren schon rund ein eineinhalb Tausend Menschen verhaftet worden.

Unter der Leitung der Vertreter Moskaus begann die Nationalisierung von Banken und großen Unternehmen. Danach folgten die Handelsunternehmen, die großen Häusern und kleinere Unternehmen. Die Lettische Nationalwährung wurde vollständig aus dem Verkehr gezogen.

Allmählich entwickelten sich Widerstandsgruppen gegen die sowjetische Besetzung, deren aktivste Kraft in den Jahren 1940-1941 die Schuljugend und die Studenten waren. Auch die Minderheiten wie Polen und Juden haben sich in dem Lettischen Widerstand beteiligt.

Es wird immer noch stark diskutiert, warum Lettland, genauso wie Estland und Litauen 1940 keinen militärischen Widerstand gegen die sowjetischen Truppen geleistet haben. An Hand der bekannten Zahlen, sehen wir, dass die sowjetischen Truppen viel grösser und stärker waren. Am 10. Mai 1940 befanden sich in den baltischen Staaten bereits 66.946 Soldaten und Offiziere der Roten Armee und eine unbekannte Zahl ihrer Familienangehörigen.

Heutzutage gehen wir davon aus, dass die Präsidenten der jeweiligen Staaten gehofft haben, durch militärisches Stillhalten unnötige Opfer zu vermeiden. Was auch immer sich der Lettische Präsident und die anderen baltischen Regierungen dachten, ihnen gelang es leider nicht tausende von Menschen vor sowjetischen Repression und Terror zu retten.

Die Besetzung und Annexion Lettlands und der anderen baltischen Staaten im Kontext des internationalen Systems des 20. Jahrhunderts war ein außergewöhnliches Ereignis. Während des zweiten Weltkriegs wurden viele Staaten besetzt, doch ihre Unabhängigkeit wurde nach dem Krieg wiederhergestellt. Die baltischen Staaten waren die einzigen, denen diese Möglichkeit nicht gegeben wurde. Die Hoffnung, dass der Krieg zwischen Deutschland und der UdSSR zu Bedingungen führen könnte, die die verlorene Unabhängigkeit wiederherstellen würde, hat sich als trügerisch erwiesen. Die Tatsache, dass die meisten Länder der Welt nach dem zweiten Weltkrieg die Besatzung der Baltischen Staaten und dessen Aufnahme in die UdSSR nicht anerkannt haben, hat jedoch die Möglichkeit gegeben, die Unabhängigkeit der baltischen Staaten ein halbes Jahrhundert nach ihrer Gründung wiederherzustellen.

Ein Gebiet, zwei Länder. Erklärung von Welles

Nach der Besetzung Lettlands bestand die Republik Lettland rechtlich (de iure) weiter, obwohl sie tatsächlich (de facto) von der UdSSR besetzt war.

Am 23. Juli 1940 verbreitete die US-Regierung die sogenannte Erklärung von Samner Welles, in der sie erklärte, dass die Vereinigten Staaten die Besatzung der drei baltischen Staaten nicht anerkennt. Viele westlichen Staaten wie Großbritannien, Australien, Kanada, Frankreich, Belgien, der Vatikan, Irland, Finnland, Dänemark, Norwegen, Portugal, die Türkei, Brasilien, China, Jugoslawien, usw. haben eine ähnliche Position eingenommen. Es waren weiterhin diplomatische Vertretungen Lettlands in acht Ländern tätig: USA, Australien, Belgien, Brasilien, Irland, Kanada, Großbritannien, Norwegen. Obwohl mehrere Länder später unter dem Druck der Sowjetunion ihre Position änderten, akzeptierten die führenden westlichen Staaten während der gesamten Besetzungszeit offiziell die Vereinnahmung der baltischen Staaten in die UdSSR nicht.

14. Juni 1941 - die Erste Deportation der Lettischen Familien nach Sibirien (15 400 Menschen)

Unmittelbar nach der Besatzung Lettlands begann der Zerfall seiner Staatlichkeit, die Schaffung und Stärkung des sowjetischen Regimes sowie die massive Unterdrückung oder Repressionen der sogenannten „Feinde des Volkes“ und „fremden Elemente“.

Parallel zu den Strafverfahren und den Verhaftungen bestimmter „Gegensowjeteinheiten“ des Widerstandes in Lettland so wie auch in Estland und Litauen die Vorbereitungen für eine umfassende Abschiebung von Menschen aus den besetzten Gebieten nach Sibirien getroffen. Am 14. Juni 1941 erreichten die sowjetischen Repressionen ihren Höhepunkt, als 15.443 lettische Bürger, Männer, Frauen und Kinder, innerhalb einer Nacht in die UdSSR gebracht wurden.

Und das war erst der Anfang.

Das Ziel der geplanten Abschiebung war es, die lettische politische Elite, Staatsmänner, Militäroffiziere, Justiz- und Polizeibeamte, Parteimitglieder, Wissenschaftler, Schriftsteller, Lehrer, Angehörige anderer Berufe zu verhaften und samt ihren Familien zu deportieren.

Die Deportation erfolgte in erster Linie nach „besonderen Merkmalen“. Es wurden die diejenigen abgeschoben, die „konterrevolutionäre“ Aktivitäten und „antisowjetische Agitation“ ausübten sowie wohlhabendere Bürger der Republik Lettland.

Die Abschiebung von Frauen, Kindern, älteren Menschen wurde mit der Verhaftung des Familienvaters begründet.

Am 14. Juni 1941 wurden deportierte Frauen, Kinder und ältere Menschen in ein lebenslanges Lager in den Bezirk Krasnojarsk, in den Bezirk Nowosibirsk und in die nördlichen Gebiete Kasachstans verbannt, wo sie unter Aufsicht der Spezialen Kommandanturen des Innenministeriums der UdSSR hauptsächlich in forstwirtschaftlichen Betrieben, in Kolchosen und in sowjetischen Betrieben tätig waren. An den Lagerorten starben über 1.900 ausgewiesene lettische Staatsbürger. Die bei der Deportation beschlagnahmte Häuser und Güter wurden nicht zurückgegeben.

Gemäß der Völkermord-Konvention der Vereinten Nationen vom 9. Dezember 1948 sind die Deportationen vom 14. Juni 1941 zu Recht als Völkermord gegen das lettische Volk anzusehen.

Zwischen 1940 und 1941 wurden etwa 26 000 lettische Bürger verhaftet, getötet und repressiv unterdrückt.

Der Überfall Deutschland auf die Sowjetunion und die deutsche Besetzung Lettlands 1941

Am 22. Juni 1941 greift Nazi Deutschland die UdSSR an

Am 22.Juni 1941 haben die nationalsozialistischen deutschen Truppen gemäß dem Barbarossa-Plan die Sowjetunion (UdSSR) angegriffen.  Schon um 4.00 Uhr nachts bombardierte die deutsche Luftwaffe das lettische Hoheitsgebiet die Hafenstädte Liepaja und Ventspils, während die Wehrmacht bei Rucava die lettische Grenze überquerte. Die Truppen bewegten sich schnell und eroberten Riga bereits am 1.Juli.

Zwischen dem Rücktritt der sowjetischen Besatzungsmacht und der Einrichtung deutscher Militärstrukturen vergingen an einigen Orten nur Stunden, (z. B. in Riga) oder eine Woche (Latgale). Die deutsche Militärverwaltung richtete an Ort und Stelle ein Befehlssystem ein.

Die deutsche Besatzungsmacht begann bereits am 1.07.1941 mit der Währungsreform, bei der der Wert des Rubels im Verhältnis zu der Reichsmark auf 10:1 festgelegt wurde. Der Wert der Ersparnisse der lettischen Bevölkerung ging damit um das Fünffache zurück. Die Nahrungsmittel- und Rohstoffvorräte nahmen rasch ab. Die registrierten Einwohner Lettlands erhielten Lebensmittelkarten.

Der Wehrmachts-Angriff war so schnell vor sich gegangen, dass die Sowjetbehörden die Lettische Industrie nicht evakuieren konnten. Viele große Unternehmen wie „National Electronical Fabrika“ (VEF), „Vairogs“, „Tosmare“, „Liepaja Drahtfabrik“ und andere konnten ihre Arbeit in den ersten Tagen der deutschen Besetzung wieder aufnehmen. Auch das Wasserkraftwerk Kegums war beinahe intakt. Am 19.8.1941 übernahm das Nazi-Besatzungsregime das gesamte Vermögen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, einschließlich der verstaatlichten Güter. Nur ein kleiner Teil der Produktion wurde danach für den zivilen Bedarf verwendet.

Holocaust

Gemäß der nationalsozialistischen Rassenideologie wurde die physische Zerstörung der Juden angeordnet. Um diese Ziele zu erreichen, wurden vier so genannte Einsatzgruppen aus Deutschland in die Eroberungsgebiete entsandt. Im Baltikum bestand die „Einsatzgruppe A“ aus 990 Männern.

Die schrecklichsten Verbrechen des Holocausts in Lettland waren- der 4.Juli 1941, als die Große Rigaer Horalsynagoge samt Besuchern verbrannte; Ende August wurden die Juden in Kleinstädten und ländlichen Gebieten getötet. Die überlebenden Juden wurden in Ghettos eingesperrt. In Rigaer Ghetto lebten ursprünglich etwa 30.000 Menschen. Die Juden wurden am 30.November und am 8. Dezember im Wald von Rumbula ermordet. Dies waren nicht nur Lettische Juden, sondern auch Juden aus Deutschland, Österreich, der Tschechischen Republik und anderen Ländern., die nach Riga gebracht worden waren.

Es existierten mehrere Ghettos in Lettland- in Liepāja, in Daugavpils. Die meisten dortigen Gefangenen wurden erschossen. Die Überlebenden wurden in das Konzentrationslager im Rigaer Kaiserwald geschickt, nach Dundaga, Eleja und andere Orte. Als die Nazis Lettland verließen, transportierten sie die Juden von Riga-Kaiserwald in das Konzentrationslager Stutthof in Polen. Während der Nazi Besatzung wurden in Lettland etwa 70 000 Juden getötet, sowohl lettische als auch aus anderen Ländern Abgeschobene.

Es ist mir wichtig hier auch zu erwähnen, dass trotz der Repressionen und Gefahr für Leib und Leben sich lettische Bürger an der Rettung der Judenbeteiligten. Das waren beispielsweise Žanis und Johanna Lipkes, die zusammen mit 25 Helfern während des Krieges über 53 Juden gerettet haben. Im 1943 überlebten 11 Juden bei Roberts und Johanna Seduli in Liepaja, Thron Schwartz rettete neun Juden, Elvira Rone- acht, Arthur Motmiller -sieben Juden, Anna Alma Pole- sieben Juden, wurde aber selbst verhaftet. Insgesamt wurden in Lettland rund 781 Juden versteckt, von denen 577 überlebten.

Am 10. Februar 1943 wurde allerdings auch -unter Verstoß gegen dem Haager Übereinkommen von 1907 über das Verbot der Mobilisierung durch den Besatzungsstaat- im besetzten Gebiet eine Anordnung zur Einrichtung einer SS-Legion für lettische Freiwilligen unterzeichnet. Es fanden vier Mobilisierungsmaßnahmen statt.

Auch die sowjetische Armee hat eine Mobilisierung durchgeführt. In der Roten Armee gab es daher lettische Soldaten. Am 3.08.1941 wurde die Division der lettischen Schützen gegründet, in der die Hälfte der Soldaten Letten waren.

Folgen der deutschen Besetzung

Im Sommer 1941 konnten etwa 40.000 Einwohner aus Lettland fliehen. Ende Juli und August meldete die nationalsozialistische Besatzungsmacht 1,796 Mio. Einwohner (ohne Juden). Da es in Deutschland an Arbeitskräften mangelte, wurde 1941 eine Anordnung zur Abschiebung verdächtiger Einheimischer nach Deutschland zur Zwangsarbeit erlassen. Während der Besatzung fanden drei derartige Aktionen statt, an denen etwa 14.000 lettische Bürger nach Deutschland geschickt wurden. Während des Krieges, im Sommer und Herbst 1944, verließen 171.000 Menschen das Territorium Lettlands, sowohl zwangsweise als auch durch Flucht aus der Roten Armee.

Unter dem Einfluss des nationalsozialistischen Besatzungsregimes verlor Lettland einen großen Teil der IntelligenzLettland hatte auch die gesamte jüdische Gemeinschaft verloren. Die Wirtschaft war ruiniert, weil die Nationalsozialisten bei ihrem Rücktritt fast alle großen Wirtschaftsbetriebe entfernt oder zerstört hatten. Nach einem Jahr der sowjetischen und zwei Jahren Nazi-Herrschaft wurde Lettland von einem blühenden und wirtschaftlich stabilen Land in Schutt und Asche gelegt. Und das war lange noch nicht das Ende der Grausamkeiten.

1944 Befreiung Rigas/Lettlands von Nazi-Truppen und gleichzeitige Besatzung durch sowjetische Truppen

Die sowjetische Armee begann am 22.6.1944 die Operation „Bagration“. Im Oktober setzte die sowjetische Armee den Angriff auf Riga fort. Mitte Oktober stabilisierte sich die Frontlinie in Kurland. Es fanden sechs große Schlachten statt, an denen auf beiden Seiten Armeeabteilungen mit lettischen Soldaten teilnahmen. Die Belagerung Kurlands dauerte bis zur Kapitulation am 8.5.1945 an.

Die Bevölkerung leistete der sowjetischen Herrschaft bewaffneten Widerstand (1944-1957).

Nach der Rückkehr der Sowjetmacht nach Lettland haben sich Widerstandseinheiten von Partisanen organisiert. Männer schlossen sich den Partisanen an, um der Mobilisierung der sowjetischen Armee zu entgehen, andere retteten sich vor Massenverhaftungen und Deportationen.

Das Ziel der nationalen Partisanenkämpfe nach Kriegsende war es, die Unabhängigkeit Lettlands wiederherzustellen. Denn eine große Mehrheit der Bevölkerung glaubte, dass die westlichen Verbündeten die baltischen Staaten nicht der Sowjetunion überlassen würden. Im Laufe der Zeit zielten die Partisanenkämpfe darauf ab, die Sowjetherrschaft vor Ort zu besiegen.

Trotz der großen Menschenverluste waren ca. 1 % der Bevölkerung des Landes bereit, Lettland gegen die Rückkehr der Sowjetherrschaft zu verteidigen. Besonders in bewaldeten ländlichen Gebieten, wo Bunker (die auch für das Leben in der Winterzeit geeignet waren) gebaut werden konnten, war dieser Kampf erfolgreich.

Im Westen des Landes entwickelte sich die Partisanenbewegung in Kurland nach der Kapitulation Deutschlands, als klar war, dass die Sowjetherrschaft in Lettland zurückkehren würde.

Das sowjetische KGB versuchte, den bewaffneten Widerstand zu beseitigen, indem es die Wälder durchsuchte, Aufrufe verbreitete, bewaffnete Angriffe der Truppen organisierte und Agenten in die Wälder schickte. Von diesen wurden falsche Partisanen ausgebildet, die Menschen entführten und ermordeten, um die Lettischen Partisanen zu diskreditieren. Gleichzeitig wurden Verwandte von Partisanen terrorisiert, verhaftet, gefoltert, als Geiseln genommen.

Gefangene Partisanen wurden zu langen Gefängnisstrafen, 10-25 Jahre oder zur Todesstrafe, verurteilt. Ein Großteil der Gefangenen wurde nach Sibirien geschickt. Die Repressionen endeten auch nicht nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft - es gab Beschränkungen für Wohn- und Arbeitsorte. Das KGB verfolgte Verwandte und Bekannten. In den 70en Jahren gab es mehrere Musterprozesse, um die Öffentlichkeit einzuschüchtern und daran zu erinnern, dass jeder Widerstand gegen das Regime unterdrückt würde.

Laut KGB gehörten 12.250 Personen der bewaffneten Widerstandsbewegung an, was mehr als einer vollständigen Armeedivision entspricht. Die Partisanen verfügten auch über Militärtechnik-Kanonen, Maschinengewehre und entsprechende Munition.

Der Höhepunkt der Partisanenkämpfe war 1945-1947. Danach gingen sie zurück, weil viele in die Schlacht gefallen waren oder gefangen genommen wurden. Auch die Verhaftung von Anhängern und die Massendeportation der Bevölkerung im Jahr 1949 haben die Bewegung der nationalen Partisanen geschwächt. Die Methoden des KGB, die massenhafte Repressionen waren also leider erfolgreich.

25. März 1949 - weitere Deportationen nach Sibirien (42.125 Menschen)

Nach dem zweiten Weltkrieg versuchte die Sowjetunion in den besetzten und annektierten Gebieten, die 1940-1941 begonnene Sowjetisierung der Region abzuschließen, zu der die Vereinigung einzelner privater Bauernhöfe zu staatlichen Kolchosen und die Auflösung des bewaffneten Widerstands gehörten. Um diese Ziele zu erreichen, wurden aus diesen Gebieten 1948-1952 Menschen massenweise abgeschoben. Eine dieser Aktionen war die vom 25.03 1949, die gleichzeitig in Estland, Lettland und Litauen durchgeführt wurde. Es war eine der größten Deportationen nach dem Krieg in der UdSSR sowie die größte Deportationsaktion im Baltikum (insgesamt wurden 95.000 Menschen deportiert).

Die endgültige Entscheidung über die Deportation, die über die Abschiebung von Sowjetgegner und ihren Familien, illegal aufhältigen Banditen und nationalistischen Familien, Familien von Banditen aus Litauen, Lettland und Estland“ wurde am 18. Januar 1949 getroffen. Die Entscheidung sah die Deportation von 29.000 Familien oder 87.000 Menschen vor.

Die Deportationsaktion war als eine groß angelegte, sehr geheime Militäroperation, konzipiert, und bei ihrer Vorbereitung und zur Durchführung wurden die Repressions-Behörden der UdSSR benannt. Mitte Februar begann die Erstellung der Listen von Menschen, die deportiert werden sollen.

Die Deportation begann am 25.März nach Mitternacht. Die meisten zu Deportierenden wurden mit Lastkraftwagen zu Sammelstellen gebracht. Jede Familie durfte 1.500 kg Gepäck mitnehmen. Für die Sammlung war eine Stunde vorgesehen. In einigen Fällen verkürzten sich die Einsatzteams jedoch willkürlich auf15 Minuten oder weniger. Überraschte und verwirrte Menschen konnten oft nicht einmal innerhalb einer Stunde Gegenstände zusammenstellen, und viele hatten nicht einmal genug Besitz und Nahrungsmittel. Nach der Abschiebung dieser Familien raubten die sowjetischen Soldaten oft die Wohnungen und Häuser der Familien aus.

Diese Operation sollte innerhalb von drei Tagen abgeschlossen werden. Insgesamt wurden Deportierte aus Lettland in 33 Güterzügen nach Sibirien gebracht.

Am 29. März 1949 berichtete das Büro der Kommunistischen Partei Lettlands, dass die Abschiebungsoperation erfolgreich abgeschlossen und alle Entscheidungen der Regierung der UdSSR umgesetzt worden seien.

Die Massendeportation führte zu Panik. Es gab Gerüchte, dass dies erst der Beginn der allgemeinen Deportation aller politisch unzuverlässigen Letten nach Sibirien sei, dass sie der Vorbote des Krieges sei, usw. Die Bauern befürchteten, dass auch diejenigen, die nicht in die Kolchose gehen wollten, mit weiteren Deportationen rechnen könnten. Bereits im April 1949 stieg die Zahl der Kollektivlandwirte rapide an. Die Deportation erleichterte also auch die Verwirklichung des zweiten Ziels der Unterdrückung des bewaffneten Widerstands erheblich, führte jedoch nicht sofort zu Ergebnissen. Unmittelbar nach der Deportation nahm nämlich auch die Widerstandsaktivität zu, da sich viele, die vor der Deportation geflohen waren, den Partisanen anschlossen.

Die vom lettischen Nationalarchiv veröffentlichten Daten vermitteln heute das wirklichkeitsnahste Bild von den Opfern der Deportation von 1949 in Lettland. Vom 25. -30.3.1949 wurden 42.125 Menschen (2,2 % der lettischen Bevölkerung) aus Lettland entfernt, darunter 16.869 Männer und 25.256 Frauen. Darunter waren 10.987 Kinder unter 16 Jahren. 94,5 % der Deportierten waren Letten, die nächstgrößeren ethnischen Gruppen waren Russen, Polen und Weißrussen.

Die lettische Bevölkerung wurde in die sowjetischen Gebiete Amur, Omsk und Tomsk gebracht. Sie alle mussten unterschreiben, dass sie lebenslänglich deportiert worden waren. Die Flucht aus dem Lager war nicht möglich. Die Inhaftierten durften sich nicht ohne Genehmigung außerhalb des Verwaltungsbezirks bewegen. Die meisten entsandten Arbeitskräfte waren in der Landwirtschaft beschäftigt, vor allem in Kolchosen.

1954 begann die „Liberalisierung” der Lage der Deportierten. Die meisten von im Jahre 1949 Deportierten wurden 1956-1958 aus den Sonderlagern entlassen. Die Befreiung bedeutete nicht das Recht, nach Lettland zurückzukehren. Zum Zeitpunkt der Abschiebung wurde das entzogene Eigentum weder zurückgegeben noch entschädigt.

Der zivile (gewaltfreie) Widerstand gegen das sowjetische Besatzungsregime begann nach der Besatzung Lettlands und dauerte bis zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit in den 1990 er Jahren.

Es fing mit der Beschädigung von Wahlbulletins an, damals waren Studenten und die Schuljugendschaft aktiv. Sie haben mit der Hilfe von Flyern die Leute aufgefordert, sich nicht in kommunistische Organisationen zu begeben, nicht mit dem KGB zusammen zu arbeiten. Das KGB beseitigte diese Bewegungen leicht, da sie keine Erfahrung mit illegaler Tätigkeit hatten. Die Mitglieder dieser Gruppen wurden verhaftet, verurteilt und in russische Gefängnisse gesteckt. Ihre Widerstandsorganisationen wurden aufgelöst, die Teilnehmer wurden zu 10-25 Jahren Gefängnis in Russland verurteilt, viele kehrten nicht zurück. Diejenigen, die zurückkehrten, hatten oft Gesundheitsschäden und ihre Jugend hinter Gittern verbracht.

Gegen 1950 gewann der Widerstand andere Formen - Proteste gegen die Einschränkung der lettischen Sprache, die aufgezwungene Industrialisierung, die die Natur zerstörte und die Ankunft von Migranten aus Russland und Zentralasien und anderen Teilen der UdSSR, gegen schlechte Lebensbedingungen, gegen die Verfolgung des Glaubens und die Entfremdung  der westlichen Welt.

Die Letten feierten ab 1960 das offiziell verbotene Sommersonnenwendenfest (Līgo) weiter, sangen auf privaten Veranstaltungen verbotene Lieder und Liedparodien in deren sowjetischen Texten, die kommunistischen Parteien und das repressive System kritisiert oder verspottet wurden. Es wurden den Freundeskreisen antisowjetische Anekdoten erzählt. Jeweils am 11. und am 18. November wurden Gräbern und anderen Gedenkstätten besucht, um mit Kerzen der Gefallenen in den Unabhängigkeitskriegen Lettlands zu gedenken und den Jahrestag der Unabhängigkeit Lettlands zu feiern.

Von Zeit zu Zeit wurden die verbotenen Fahnen von Lettland an öffentlichen Orten gehisst und antisowjetische Flyer verteilt. Die Menschen versuchten sich mit Ausländern in Verbindung zu setzen, um über die Lage und Repressionen in Lettland zu berichten. Texte von in der UdSSR verbotenen Autorenwurden heimlich kopiert und privat verbreitet. Die Gläubigen haben Gebetsbücher kopiert und weitergegeben.

Der Hauptfeind des kommunistischen Regimes war ein selbstbewusster Mensch, der sich nicht blind an die Anweisungen von oben hielt. Jeder konnte vor dem kommunistischen Regime schuldig werden- Künstler, Schriftsteller, Pädagoge, Beamter, Arbeiter oder Landwirt. Nach der Besatzung Lettlands suchten Ideologen und Repressionsorgane der kommunistischen Partei in Lettland überall nach für das sowjetische Regime unerwünschten Elementen – in Armee, Polizei, beim Eisenbahnpersonal, bei Beamten bis hin zu  Mitarbeitern der Verwaltung, Vertretern nationaler Minderheiten, Studenten, religiöser Organisationen, Lehrkräften und Ärzten.

Die Sowjetherrschaft wandte sich auch gegen die Religion. Der Verhaftungen der Geistlichen folgten die Verfolgung der Gläubigen. Die Kirchengebäude wurden beschlagnahmt und umgebaut, zum Beispiel in Sporthallen oder Pferdeställe. Einige Kirchen wurden abgerissen. In den Schulen wurde Religionsunterricht verboten und die Ausbildung der Geistlichen eingestellt.

Im ersten Jahr der sowjetischen Besetzung führten Repressionen und Chaos in der Gesellschaft zu Ängsten und Misstrauen, die Lettland in der Zeit der Unabhängigkeit praktisch nicht gekannt hatte.

Während der zweiten Zeit der kommunistischen Besetzung blieb die Haltung der Sowjetregierung gegenüber der lettischen Gesellschaft unverändert: Repressionen und Kontrolle wurden fortgesetzt. Die westliche Kunst und Kultur wurden als ideologisch schädlich definiert. Die Menschen, die an der westlichen Kultur interessiert waren, wurden verurteilt; Künstler wurden daran gehindert, ihre Werke zu zeigen oder zu veröffentlichen, sie wurden oft repressiert.

Der KGB verfolgte die Menschen, die zu im Ausland lebenden Verwandten Kontakt pflegten. Briefe und Postsendungen wurden häufig beschlagnahmt und kontrolliert. Es war sehr schwierig, die UdSSR zu verlassen, selbst nur für Reisezwecke. Es war eine Ausreiseerlaubnis von den sowjetischen Behörden erforderlich, die vorher die Menschen gründlich überprüften. (Mein Vater konnte nie ins Ausland reisen).

Für die Letten, die vor der sowjetischen Besatzung nach Westen ausgereist waren, war es sehr schwierig, überhaupt etwas über ihre repressierten Verwandten zu erfahren. Das KGB zögerte mit den Antworten, weil es nicht wollte, dass seine Verbrechen im Westen bekannt werden.

Wer die Kirche besuchte, riskierte, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Die Geschichte Lettlands wurde in den Schulen nicht unterrichtet. Die Dominanz der russischen Sprache in den Behörden und in der Gesellschaft durfte nicht in Frage gestellt werden.

Während der sowjetischen Jahre gab es eine Zensur für jegliches veröffentlichte Material, Theateraufführungen, Filme.

In Kunstkreisen, am Arbeitsplatz gab es KGB-Agenten, die ihre Kollegen ausspioniert und dem KGB berichtet haben. Die Angst vor dem Verlust der Arbeit, der Möglichkeit, kreativ zu arbeiten oder sogar der Freiheit, wirkten sich demoralisierend auf die Menschen aus. Die Zweideutigkeit wurde zu einem allgemeinen Phänomen, in Mode war verschwiegene Wahrheiten zwischen den Zeilen auszudrücken. In der Zeit haben die Letten die Gabe entwickelt, zwischen den Zeilen lesen zu können. Ich glaube, dass diese Gabe hilft uns heute noch viel widerstandfähiger gegen die fake news, russischer Propaganda oder Desinformation zu reagieren Als andere.

Hinter dem Eisernen Vorhang und lettische Freiheitsbewegung

Die lettische SSR wurde wie die gesamte UdSSR vom Westen durch den eisernen Vorhang getrennt. Das kommunistische Regime schützte diese Grenze sowohl vor externen Feinden - den westlichen als auch den internen - der Gesellschaft selbst.

Niemand konnte sich den Militärstützpunkten nähern, große Industrieobjekte, Straßen und Brücken fotografieren. Das galt auch für Touristen. Für diese Verstöße drohte eine strafrechtliche Sanktion. Es gab Städtepläne und Landkarten in Geschäften, aber sie waren in der Nähe von Militär- und Industrieobjekten verfälscht und irreführend.

Der Informationsfluss aus dem Westen wurde eingeschränkt. Die Rundfunk Voice of Amerika oder Free Europe wurde gestört. Die Leute hörten sie heimlich zu Hause hinter geschlossenen Vorhängen und trotz spezieller Funkstörungen, die die Übertragung verzerrten.

Einer der Mechanismen zur Aufrechterhaltung des kommunistischen Regimes war die totale Kontrolle der Gesellschaft in Form der Verfolgung und Beobachtung der Bevölkerung. Das KGB benutzte sie, um die Gegner des Regimes zu zerstören und die Öffentlichkeit einzuschüchtern. Es gab verschiedene Methoden, Vertrauen aufzubauen und Informationen zu erhalten. Das KGB rekrutierte Menschen auch mit psychologischen Methoden - Menschen mit Alkoholproblemen bekamen plötzlich gerne trinkende Freunde, Einsame - Freundinnen oder Traummänner. Homosexuelle wurden dagegen verfolgt, weil solche Beziehungen in der UdSSR strafbar waren.

In den Gefängnissen gab es sogenannte Kamera-(Zellen-)Kameraden. Die Tscheka schickte ein mitfühlendes und vertrauensvolles Kameramitglied, das den Gefangenen veranlassen sollte, wichtige Informationen preiszugeben. In Fällen von Häftlingen, die nichts verrieten, wurden ihre Verwandten oft verfolgt und repressiv behandelt.

Das KGB verfolgte und untersuchte auch regierungstreue Personen, die Führungspositionen übernehmen wollten, um festzustellen, ob ihre Biographie ohne Flecken ist. Dies konnten laute antisowjetische Ansichten, religiöse Überzeugungen, Festnahmen, Deportationen oder westliche Verwandte usw. sein. Die Lehrer befragten die Kinder oft über ihre Eltern und berichteten dem KGB.*

Eine bedeutsame Zivilwiderstandaktion war die von der Menschenrechtsverteidigergruppe Helsinki 86 organisierte Blumenniederlegung am Freiheitsdenkmal am 14. Juni 1987 (dem Gedenktag der ersten Massendeportationen). Diese Aktion fand breite Anerkennung und Unterstützung in der Öffentlichkeit und war im Grunde der Beginn der Freiheitsbewegung. Darauf folgte die Aktion Baltic Way am 23. August 1989, als zwei Millionen Letten, Litauer und Esten eine fast 700 km lange Menschenkette von Tallin über Riga bis Vilnius gebildeten und die Wiederherstellung der Freiheit und der Unabhängigkeit der Baltischen Ländern forderten. Ich bin stolz, dass ich als 17-jährige Jugendliche daran teilgenommen habe. Heute gedenken wir dem 34. Jahrestag des Baltischen Wegs!

Die Opfer der KGB Repressionen konnten erst nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Lettlands in den 1990 er Jahren rehabilitiert werden.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Trotz dieser furchtbarer Erfahrung und des Einflusses der insgesamt 50 Jahre währenden Besatzungen auf das Lettische Schicksal und  Generationen von Letten, trotz der Besatzungen, Repressionen, Deportationen, Ermordung von Tausenden und dem Verlust an Bevölkerung hat Lettland in den 33 Jahren seit der Wiederherstellung seiner Unabhängigkeit viel erreicht.

Wir sind nach Europa zurückgekehrt und 2004 der EU beigetreten. Lettland gehört seit 2004 der stärksten Verteidigungsallianz der Welt - der NATO - an. Die wirtschaftliche Stärke wurde durch die Aufnahme Lettlands in OECD- den Club der wirtschaftlich entwickelten reichen Länder 2016 bewiesen.

Die lettische Gesellschaft schätzt dies, vor allem jetzt, wo unser Nachbar und Nachfolger von der Sowjetunion -Russland einen schrecklichen Krieg gegen die Ukraine führt.

Wir sind stark, wenn wir zusammen halten und uns der schrecklichen Verbrechen des Stalinismus und Nationalsozialismus bewusst sind. Gemeinsam können wir die Ukraine dabei unterstützen, das Monster zu besiegen. Aber diese Themen verdienen einen anderen Vortrag.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und ich hoffe, dass Sie heute etwas Neues über das Schicksal Lettlands erfahren haben!

Referenzen/Literatur:

Eckhaus – Ausstellung des Lettischen Okupationssmuseums „Tscheka in Lettland“, 2023

• Erklärung zur Besatzung Lettlands LR Saeima, Riga 22.08.1996

• Besatzung Lettlands: historische und internationale rechtliche Aspekte, Das Lettische Aussenministerium

• Beginn der Besatzung. Lehrplanmaterial des Lettischen Okupationsmuseums

• Lettische Besetzung. Lehrmaterial der Hochschule Turiba

• Antonijs Zunda Unter den Rädern der politischen Supermächte. Latvijas Vēstnesis (Frage der baltischen Staaten in den internationalen Beziehungen 1940-1991)

• Aivars Stranga Besatzung und Eingliederung Lettlands in die UdSSR (1940-1941)

• Eriks Jakobsons Die Chronik der lettischen Besatzung. Die Botschaft des Augenzeugen — IR, 14.3.2014

• Henrihs Strods Besatzung der Baltischen Staaten: Forschung, Terminologie, Periodisierung

• Inesis Feldmanis Besatzung Lettlands: historische und internationale rechtliche Aspekte

• Inesis Feldmanis Lettland, 1939-1940 — Besetzung,, Annexion, Inkorporation Lettlands Verständnis und Anwendung von Konzepten

• Inesis Feldmanis Der wahre Beginn der Besatzung LA, 2.10.2004

• Rihards Treijs Über die Besatzung Lettlands im Jahr 1940

• Das Lettische Nationale Archiv der Geschichte.

• „Besatzungsregime in Lettland von 1940 bis 1959“ Das LEttische Institut für die Geschichte

* Aivars Stranga „Die erste Etappe der lettischen Besatzung: 23. August 1939 bis Anfang 1940“. (Artikel der Lettischen Historikerkommission)

• Totalitäre Besatzungsregime in Lettland von 1940 bis 1964“. (Artikel der Lettischen Historikerkommission)